Im Rahmen der JUVE Awards unterstützt der JUVE Verlag jedes Jahr mit den Spenden der Gäste zwei Organisationen. Dieses Jahr steht das Thema ‚Rechtsstaatlichkeit‘ im Fokus. Seit 1993 setzt sich der Verein ‚Via Iuris‘, einer der Spendenempfänger, für die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit in der Slowakei ein.
JUVE hat dazu mit Dr. Ulrich Karpenstein gesprochen. Er ist Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins und Partner bei Redeker Sellner Dahs.
JUVE: Die Slowakei ist seit 20 Jahren Mitglied der EU und der Nato und formal eine parlamentarisch verfasste demokratische Republik. Sollte dort das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nicht selbstverständlich sein?
Dr. Ulrich Karpenstein: Die jüngsten Erfahrungen in EU-Staaten wie Polen und Ungarn haben gezeigt, wie rasch autoritär-populistische Parlamentsmehrheiten den Rechtsstaat schleifen können. Binnen einer Legislaturperiode ist es Orban und Kaczynski gelungen, die für sie lästige Justiz und den staatlichen Rundfunk auf Linie zu bringen. Das hat in der EU damals Erstaunen aber keinen Weckruf ausgelöst. Dass der linkspopulistische Ministerpräsident Fico in der Slowakei nun ebenfalls Hand an die Verfassungsgerichtsbarkeit, die Antikorruptionsbehörde und die unabhängigen Medien legt, ist bedrückend. Umso wichtiger ist es, dieses Mal genau hinzuschauen – auch in der europäischen Anwaltschaft.
Seit den vorgezogenen Parlamentswahlen 2023 führte die neu gegründete Regierung Änderungen in der Staatspolitik durch – ohne öffentliche Konsultation oder Einhaltung üblicher legislativer Verfahren. Was sind die tiefgreifendsten Veränderungen?
Besonders einschneidend ist die Abschaffung des unabhängigen öffentlichen Senders RTVS per Eilgesetz. Stellen Sie sich vor, in Deutschland würden ARD und ZDF über Nacht abgeschafft. Dies geschieht – bewusst oder unbewusst – zu einem Zeitpunkt, in dem die EU-Kommission sich nach den Europawahlen erst finden muss und deshalb machtlos ist. Věra Jourová, die bisherige Werte-Kommissarin der EU, hatte gemeint, man könne erst reagieren, wenn es tatsächlich so weit ist – nicht schon im Vorfeld.
Hinzu kommen die laufenden Änderungen des Strafgesetzbuches. Fico nutzt es als Schutzschild, indem etwa Verjährungsfristen für Korruptionsdelikte verkürzt werden. Nun greift er das Verfassungsgericht in Bratislava frontal an, fordert Richter zum Rücktritt auf. Es ist eine Frage der Zeit, bis die ersten Gesetze zu dessen Entmachtung und Gleichschaltung folgen. Eine Demokratie stirbt nicht mit einem Knall, sie ist der Frosch im Kochtopf autoritärer Populisten. Darauf machen Organisationen wie ‚Via Iuris‘ oder das ‚Projekt Thüringen‘ des verfassungsblog seit langem aufmerksam. ‚Via Iuris‘ ganz nüchtern, Monat für Monat.
Welche Mittel hat die EU, um dem Einhalt zu gebieten?
Gute aber von ihr leider viel zu wenig genutzte Instrumentarien. Schärfstes Schwert ist das Rechtsstaatlichkeitsverfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag. Der Slowakei könnten im Extremfall alle Mitgliedschaftsrechte entzogen werden. Leider bedarf es dafür der Zustimmung aller anderen Länder. Orban wird sich dagegen stellen. Es gibt außerdem den sogenannten Konditionalitätsmechanismus: EU-Gelder gibt es nur, wenn diese rechtsstaatlich verwendet werden. Und natürlich, ganz klassisch: Die EU-Kommission kann Vertragsverletzungsverfahren einleiten und bei Nichtumsetzung von EuGH-Urteilen tägliche Zwangsgelder in Millionenhöhe verhängen. Am effektivsten wäre es meines Erachtens, mit einstweiligen Anordnungen vor dem EuGH zu retten, was zu retten ist. Auch hier können immense Zwangsgelder verhängt und gegebenenfalls aufgerechnet werden. Diese Mittel werden meiner Meinung viel zu wenig genutzt.
Warum muss uns das in Deutschland interessieren, was zurzeit in der Slowakei passiert?
Der EU-Rechtsraum basiert auf wechselseitigem Vertrauen. Bricht das Vertrauen weg – weil etwa das EU-Recht sanktionslos missachtet wird –, gibt es diesen gemeinsamen Raum bald nicht mehr. Auch Nachahmer in anderen EU-Staaten wird es geben. In Deutschland müssen wir uns übrigens vielleicht ganz ähnlichen Fragen stellen. Was ist, wenn einzelne Bundesländer wie Thüringen unregierbar werden, wenn extremistische Sperrminoritäten die Richterwahlen verhindern? Ja, das muss uns interessieren! Umso wichtiger ist es, dass sich unsere Zunft mehr für Rechtsstaatlichkeit und ein demokratisches Miteinander in der EU einsetzt als bisher. Der Deutsche Anwaltverein ist hier eine sehr starke Stimme und ich bin froh, dass wir im Forum Wirtschaftskanzleien auch hierüber sprechen. Wenn wir gemeinsam die Stimme erheben, kann sich die Politik davor nicht einfach verschließen.
Der Deutsche Anwaltverein setzt sich schon lange dafür ein, dass das Bundesverfassungsgericht stärker abgesichert wird.
In der Tat, das ist ein gutes Beispiel. Wir haben wichtige Impulse zu der nun laufenden Grundgesetzänderung gesetzt, haben überparteiliche Gesprächsfäden geknüpft und ab und zu auch mal auf die Pauke hauen müssen. Ende des Jahres sollte es so weit sein – dann ist zumindest unser Bundesverfassungsgericht sehr viel resilienter aufgestellt als etwa die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Slowakei, in Polen und in so vielen anderen Staaten, in denen die Justiz unter die Räder gekommen ist.
(Das Interview erschien zuerst auf juve.de.)