Interview: „Die Justiz ist das erste Target, das sich autoritäre Populisten vor die Flinte nehmen“

(Foto: thauwald-pictures/stock.adobe.com)

Im Rahmen der JUVE Awards unterstützt der JUVE Verlag in diesem Jahr zwei Organisationen, die sich das Thema ‚Rechtsstaatlichkeit‘ auf die Fahnen geschrieben haben. Eine davon ist der ‚Verfassungsblog‘.

JUVE hat mit dem Gründer, Maximilian Steinbeis, gesprochen.

JUVE: Herr Steinbeis, Sie setzen sich mit dem ‚Verfassungsblog‘ für den zivilen Verfassungsschutz ein. Warum ist das Engagement der zivilen Gesellschaft gefragt? Deutschland hat für den zivilen Verfassungsschutz doch Institutionen, etwa die Justiz und Polizei.

Maximilian Steinbeis: Das ist eine sehr deutsche Frage. Wir haben in Deutschland die Neigung, auf den Staat zu schauen und uns Rettung zu erhoffen. Es gibt aber viele Beispiele, die zeigen, dass dieses Vertrauen gefährlich ist. Israel hat uns inspiriert. Ich habe damals die Verfassungsrechtlerin Tamara Hostovsky Brandes interviewt. Sie erzählte, wie es in Israel war, als Benjamin Netanjahu begann, die Unabhängigkeit der Justiz infrage zu stellen. Da haben sich ein paar Dutzend Rechtswissenschaftler zusammengetan, um in privaten Wohnzimmerveranstaltungen überall im Land über die Folgen solcher Bestrebungen aufzuklären. Das war ein ganz wichtiger Faktor, dass Tausende auf die Straße gingen und protestierten. Die deutsche Zivilgesellschaft kann sich auch nicht auf ihre Institutionen verlassen. So könnte zum Beispiel die Justiz in die Hände von autoritären Populisten gelangen. Auf solche Szenarien müssen wir uns vorbereiten. Es muss allen klar sein, wo unsere Verwundbarkeiten sind.

 

Sie haben den ‚Verfassungsblog‘ gegründet und das Thüringen-Projekt ins Leben gerufen. Warum?

Den ‚Verfassungsblog‘ gibt es schon seit 2009, und wir haben uns dort seit Jahren mit dem Siegeszug des autoritären Populismus in Ungarn, in Polen und in vielen anderen Ländern beschäftigt. 2023 beschlossen wir, dass wir uns um Thüringen kümmern müssen. Die AfD dort ist ein besonders aggressiver Landesverband mit Björn Höcke an der Spitze. Wir haben recherchiert, was passieren würde, wenn die AfD die demokratischen Regeln dafür nutzt, ihre autoritären Ziele durchzusetzen.

 

Aber wenn die AfD demokratische Regeln für sich nutzt, kann man ihr rein rechtlich gar nicht beikommen.

Das ist das Problem. In Thüringen hat man das so deutlich wie selten bei der ersten Sitzung des neuen Landtags gesehen. Die leitet der sogenannte Alterspräsident, der dafür sorgen soll, dass der neue Landtag sich konstituieren kann. Die AfD hat es verstanden, sich dieses Amt zu sichern und damit diese erste Sitzung gezielt und planmäßig zum Platzen gebracht – und die Schuld dafür den anderen Fraktionen zugeschoben, die sich gegen diese Übergriffe zur Wehr gesetzt haben. Das hätte man verhindern können, wenn man rechtzeitig die Geschäftsordnung des Landtags auf ein solches Szenario angepasst hätte. Das hatten wir im April empfohlen. Aber dafür gab es keine Mehrheit. Jetzt haben wir leider den Salat.

 

Wie haben Sie die Ergebnisse kommuniziert?

Wir sind direkt in die Institutionen gegangen, ich habe ein Buch dazu geschrieben, wir haben einen Podcast auf die Beine gestellt und eben unseren ‚Verfassungsblog‘ mit rechtswissenschaftlichen Artikeln bestückt. Denn das ist genau unser Primärzweck: wissenschaftliches Wissen zu schaffen und zu transportieren.

 

Was wird mit dem Geld geschehen, dass durch die Spenden unserer Gäste im Rahmen der JUVE Awards zusammenkommt?

Wir wollen das Thüringen-Projekt, das so gut wie beendet ist, auf die gesamte Bundesrepublik ausdehnen und herausfinden, wo in den verschiedenen Institutionen und insbesondere in der Justiz die verwundbaren Stellen sind. Und wir wollen mit den Leuten ins Gespräch kommen. Das haben wir mit Lehrern bereits ausprobiert: Wie können sie reagieren, wenn etwa ein autoritär populistischer Kultusminister plötzlich Lehrpläne umstellt? Wo können sie klagen? Wir wollen ihnen einen Werkzeugkasten an die Hand geben, damit sie rechtzeitig handeln können. Als allererstes müssen wir uns aber um die Resilienz der Justiz kümmern. Die Justiz ist die zentrale Institution des Rechtsstaates. Und sie ist auch das erste Target, das sich autoritäre Populisten vor die Flinte nehmen.

 

(Das Interview erschien zuerst auf juve.de.)