Praxis ohne Grenzen Hamburg

In Deutschland herrscht oft Unverständnis darüber, dass es in anderen Ländern keine ausreichende Krankenversicherung gibt. Dabei wird übersehen, dass auch hierzulande viele Menschen ohne eine solche gesundheitliche Absicherung leben müssen, was oft katastrophale medizinische, aber auch soziale Folgen wie den Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben hat.

Der Grund für den Verlust der Krankenversicherung ist, neben der Obdachlosigkeit, in der Regel eine persönliche Insolvenz. Betroffen sind z.B. Kleinunternehmer und Rechtsanwälte. In der Phase einer wirtschaftlichen Krise können sie ihre Krankenkassenbeiträge nicht mehr zahlen und verlieren dadurch den Versicherungsschutz.

Möchten sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder von den Krankenkassen aufgenommen werden, verlangen diese eine Nachzahlung der zwischenzeitlich angefallenen Beiträge. Dafür fehlen dann zumeist die Mittel. Nach aktuellen Schätzungen liegt die Gesamtzahl dieser Patienten bei 450-500.000 in der Bundesrepublik.

Noch wesentlich höher ist die Zahl der Nichtversicherten unter den illegal hier lebenden Frauen und Männern, Menschen ohne Papiere, die ständig damit rechnen müssen, entdeckt und abgeschoben zu werden. Hinzu kommen noch Zuwanderer aus neuen EU- Ländern, wie Rumänien oder Bulgarien, die oft keine sozialpflichtige Arbeit finden und deshalb auch nicht versichert sind. Die Gesamtzahl aller unversicherten Patienten in Deutschland liegt zwischen 1,5 und 2 Millionen.

Der ehemalige Chefarzt des Zentrums für Innere Medizin in einem Hamburger Krankenhaus, Prof. Dr. Peter Ostendorf, hat im Frühjahr 2014 in der Hansestadt eine Praxis eröffnet, in der Menschen ohne Krankenversicherung eine fachlich fundierte Gesundheitsvorsorge angeboten wird.

Bedürftige erhalten in der Praxis ohne Grenzen kostenlos die notwendige akute Versorgung, aber auch eine präventive Beratung und Behandlung etwa bei Schwangerschaften oder Infektionen (z.B. Tuberkulose oder HIV).

In der als gemeinnützig anerkannten Praxis arbeiten zurzeit 45 ehrenamtliche Fachärzte, 15 Krankenschwestern bzw. MTAs, zwei Dolmetscherinnen, eine Sozialberaterin und vier Studenten in der Patientenaufnahme. Die Praxis ist im Basement der Seniorenanlage Hamburg-Horn untergebracht und verfügt über zehn Untersuchungszimmer auf 320 qm. Durch Zuwendungen wurde die Anschaffung moderner Untersuchungsgeräte in allen Untersuchungsräumen ermöglicht. Die Räumlichkeiten der Praxis werden Ostendorf und seinen Kollegen vom Heimbetreiber kostenlos zur Verfügung gestellt.

Gestartet im Jahr 2014 mit der Versorgung der Patienten in drei Räumen der Seniorenanlage, wurde die Praxis seit April 2015 bedarfsgerecht zu einer poliklinischen Ambulanz für neun medizinische Fachrichtungen erweitert, unter Einschluss einer zahnmedizinischen Behandlungseinheit und zusätzlich einer kompetenten Sozialberatung.

In der ersten Sprechstunde wurden 12 Patienten betreut, aktuell suchen 100-120 Patienten eine Sprechstunde auf. Das Maximum lag bei 162 Patienten in einer Sprechstunde. Im Jahr 2019 wurden bis Ende Juli bereits 3820 Patienten behandelt.

Die zu behandelnden Patientenzahlen nehmen zurzeit deutlich zu, sodass die Sprechstundenzeiten erweitert wurden. Die Chancen für die ambulante Behandlung in der Praxis ohne Grenzen sind dennoch sehr stabil, u.a. in der spendenbasierten Versorgung der Patienten mit notwendigen Medikamenten. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter sind motiviert, es gibt keine Abgänge und in einigen Disziplinen, wie der Inneren Medizin, gibt es sogar Wartelisten für interessierte Ärzte. Problematisch sind die mit wachsender Patientenzahl zunehmenden teuren Operationen und Krankenhaus-Therapien, die in Zukunft die finanziellen Ressourcen übersteigen könnten.

Die Ziele der Praxis sind eine leitliniengerechte Diagnostik und Therapie der Patienten in den einzelnen Fachgebieten mit der Möglichkeit einer zeitgleichen Betreuung durch die jeweils anderen Fachärzte vor Ort. Die Praxis ohne Grenzen reagiert auf die gesellschaftliche Herausforderung, dass das Recht auf Gesundheit – garantiert durch internationales Recht und das Grundgesetz – für unversicherte Patienten in Deutschland nicht gewährleistet ist.

Nachdem die Arbeit der Praxis ohne Grenzen anfangs von der Politik noch ignoriert wurde, da man sich nicht damit auseinandersetzen wollte, dass es in Deutschland Menschen ohne Krankenversicherung gibt, ist inzwischen die Stadt Hamburg auf sie zugekommen und hat ihnen mietfreie Räume angeboten, in die die Praxis während anstehender Umbaumaßnahmen der Seniorenanlage umziehen kann.

Die laufenden jährlichen Kosten betragen 150.000 – 180.000 € und müssen komplett aus Spenden finanziert werden. Größter Kostenposten sind Medikamente sowie OPs und andere Behandlungen (wie z.B. Chemotherapie), die nicht in der Praxis ohne Grenzen durchgeführt werden können, für die sie aber die Kosten tragen. Darüber hinaus muss mit steigenden Patientenzahlen auch weiteres technisches Gerät für die Praxis angeschafft werden. Dringend benötigt werden ein zweiter Gynäkologie Stuhl (Kosten 30-35.000 €) sowie ein kleines Röntgengerät für ca. 60.000 €.

https://www.praxisohnegrenzen-hh.de/

 

(Foto: Behandlung von Menschen ohne Krankenversicherung: JUVE-Redakteurin Eva Flick überreicht den Spendenscheck über 136.505 Euro an Professor Dr. Ostendorf.)